Leuchtende Nachtwolken - NLC - Mitteleuropa - Noctilucent Clouds - Chronik - 2022 - D/A/CH

Leuchtende Nachtwolken 2022

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Leuchtende Nachtwolken in Mitteleuropa 2022

Mit 52 NLC-Nächten (Übersichtstabelle) steht 2022 nach 2020 (64) und 2018 (54) bislang an dritter Stelle, was die Zahl der Beobachtungen in der D/A/CH-Region betrifft. Qualitativ fiel die Saison jedoch eher durchschnittlich aus, sowohl hinsichtlich des Anteils der Nächte (28%), in denen NLCs südlich des 50. Breitengrades sichtbar waren, als auch bezüglich des Anteils heller Displays der Stufen 4 oder 5 (15%). Demgegenüber stehen 31 Nächte (60%), in denen NLCs nur fotografisch oder allenfalls schwach visuell in Erscheinung traten oder ausschließlich an automatisch laufenden (Web)cams nachgewiesen werden konnten. Mit 72 Tagen (01.06. - 11.08.2022) präsentierte sich die Saison ausgedehnter als im langjährigen Schnitt. In das Gesamtbild passt auch, dass OSWIN nur an wenigen Abenden späte oder sehr späte Echos aus der Mesosphäre empfing. Diese konzentrierten sich genau wie die wirklich kräftigen Echos auf die erste Junihälfte und die erste Julidekade.

Zwischen dem 05./06.06.2022 und dem 03./04.08.2022 waren die insgesamt 13 Pausen im NLC-Geschehen jeweils nur eine Nacht lang, während davor und danach lediglich 2 bzw. 3 aufeinanderfolgende, aber vom Rest der Saison etwas abgesetzte Displays verzeichnet wurden. Gleich die zweite Nacht (01./02.06.2022) brachte in Norddeutschland fast bis zum Südhorizont reichende NLCs. Dergleichen war bis dato so früh in der Saison zumindest seit 1991 noch nie verzeichnet worden. Wer daraufhin jedoch einen Verlauf vergleichbar dem Sommer 2019 erwartet hatte, wurde enttäuscht. Vielmehr dominierten im gesamten Verlauf unscheinbare bis allenfalls mittelhelle Displays, welche zudem keine sonderlich bemerkenswerten Horizonthöhen erreichten. Dazwischen waren in mehr oder weniger großen Abständen einzelne Nächte mit hellen NLCs eingestreut, namentlich am 14./15.06.2022, am 20./21.06.2022 (Hellstes und am meisten beobachtetes Display der Saison), am 14./15.07.2022, am 16./17.07.2022 (nur im Osten Deutschlands sichtbar), am 24./25.07.2022 und am 28./29.07.2022. Den Höhepunkt der Saison stellten jedoch die beiden aufeinander folgenden Nächte 04./05.07.2022 und 05./06.07.2022 (Ausführliche Darstellung) dar. Letztgenanntes Display verblüffte mit einer extrem hellen, langgezogenen "Staukante". Erwähnt seien auch die Nächte 07./08.07.2022 und 11./12.07.2022, in denen jeweils lichtschwache NLCs zusammen mit fotografischem Polarlicht auftraten. Recht interessant war schließlich noch der 10./11.08.2022, als NLCs am frühen Morgen im benachbarten Frankreich bis 48˚N nachgewiesen wurden; auch dies war im Hinblick auf die späte Saison-Phase zumindest im Zeitraum seit 1991 ein Novum.

Die meisten NLC-Nachweise (41) verbuchte in der Saison 2022 dank seines Überwachungssystems mit bis zu 4 über Nacht laufenden Cams wie gewohnt Olaf Squarra (Rostock). Mit einer einzelnen Kamera konnte Wilfried Bongartz viel weiter südlich im Rheinland in immerhin 11 Nächten Erfolge verzeichnen. Andere Beobachter, welche auf zweistellige Sichtungszahlen kamen, arbeiteten ebenfalls zumindest teilweise mit Kamera-Unterstützung (Thorsten Gaulke, Geseke; Jørgen K, Lübecke), setzten auf hohe Mobilität (Dennis Henning, Berlin; Simon Herbst, Leipzig) oder profitierten von ihrem nördlich gelegenen Wohnsitz (Jörg Kaufmann, Hemmingstedt; Christoph Kögler, Greifswald). Insgesamt erfolgten in 52 Nächten 533 Meldungen von NLCs durch menschliche Beobachter, teils, wie vorstehend erwähnt, mit Hilfe automatisch über Nacht laufender Kameras. Die meisten Nachweise kamen aus den Nächten 20./21.06.2022 (82), 14./15.06.2022 (62) und 04./05.07.2022 (53). Während genaue Angaben zu Helligkeit, Ausdehnung und Horizonthöhe fast ausschließlich im AKM-Forum und auf NLCNET von spezialisierten Beobachtern gegeben wurden, fanden sich gleichwohl insbesondere auf Facebook zahllose beeindruckende Fotos.
Die zahlreichen öffentlichen Webcams lieferten wie jeden Sommer wertvolle Daten über die südliche Sichtbarkeitsgrenze von NLC-Displays. In 36 der 52 Nächte kam der südlichste Nachweis von Webcams im Alpenraum, im Sauerland, im Erzgebirge oder sogar auf Amrum. Darunter waren immerhin 7 Nächte, in denen Leuchtende Nachtwolken ausschließlich durch solche eigentlich nicht zu ihrer Beobachtung vorgesehenen Kameras nachgewiesen wurden. In 5 weiteren Nächten brachten die NLC-Cam des IAP in Collm sowie die automatisch über Nacht zur gezielten NLC-Erfassung laufenden Kameras von Wilfried Bongartz in Swistal-Buschhoven, von Jørgen K. in Lübecke und von Olaf Squarra in Rostock den südlichsten Datenpunkt. Somit wurde in fast 80% der Nächte die Südgrenze der Sichtbarkeit durch automatische Kameras bestimmt. Betrachtet man nur die 15 Nächte, in denen NLCs südlich des 50. Breitengrades nachgewiesen wurden, so lieferten Webcams in 14 Fällen (93%) den südlichsten Datenpunkt.

Global gesehen war der NLC-Sommer 2022 qualitativ ebenfalls eher durchschnittlich. Sichtungen südlich des 45. Breitengrades hatten Seltenheitswert (4 Nächte; Vorjahr 12 Nächte); südlich des 40. Breitengrads erfolgten gar keine (Vorjahr 5 Nächte). Mit 94 Tagen (davon 89 mit NLC-Nachweisen) fiel die weltweite Saison wesentlich länger aus als die mitteleuropäische. Entsprach der Saisonbeginn (27.05.2022) genau dem langjährigen Mittelwert, so war das Saisonende (28.08.2022) das späteste zumindest seit 1991.

- Erstes Echo an SOUSY: 17.05.22
- Erstes Echo an MAARSY: 17.05.22
- Erstes Echo an ESRAD: 17.05.22
- Erstes Echo an OSWIN: 17.05.22
- Erster Nachweis durch AIM: 22.05.22
- Erster Nachweis am Boden: 27.05.22, 00:16 UT in Schottland
- Erstes Echo an NERC: 01.06.2022

- Letztes Echo an NERC: 30.07.2022
- Letztes Echo an OSWIN: 11.08.2021
- Letztes Echo an MAARSY: 26.08.2022
- Letztes Echo an ESRAD: 27.08.2022
- Letzter Nachweis am Boden: 28.08.2022, 10:00 UT an einer Webcam in Alaska
- Letztes Echo an SOUSY: 29.08.2022
- Letzter Nachweis durch AIM: 31.08.2022 (danach keine Aktualisierung des Plots)

Im AKM-Forum wurde wie seit Jahren bewährt neben den obligatorischen Threads zu den einzelnen NLC-Nächten ein über die gesamte Saison aktives Thema zu den OSWIN-Echos und anderen Indikatoren der NLC-Aktivität eröffnet. Hier wurden auch internationale Meldungen und Webcam-Funde aus den in der D/A/CH-Region NLC-freien Nächten gepostet. Daneben gab es zu einigen NLC-Nächten einen mehr oder weniger ausführlichen Rückblick mit kurzen Analysen (in der Übersichtstabelle jeweils in der linken Spalte verlinkt). Ferner wurden Verwechslungen von NLCs mit troposphärischem Gewölk und Kontrasteffekten diskutiert. Ein anderes Thema beschäftigte sich mit großartigen NLC-Aufnahmen aus der ISS. Nicht zu vergessen ist auch der Thread zur vorangegangenen südlichen NLC-Saison 2021/22.
Kurz vor Beginn der Saison kam ein faszinierendes Video heraus, welches die Entwicklung einer künstlichen NLC-artigen Wolke nach einem Raketenstart in Florida dokumentiert. Im Juli erschien ebenfalls auf Youtube (leider in bescheidener Tonqualität) der Mitschnitt eines Vortrags von Dr. Gerd Baumgarten vom IAP.
Auch in 2022 dominierten vor allem auf Social Media-Plattformen wie Facebook oder Youtube Einzelaufnahmen und Zeitraffer von Leuchtenden Nachtwolken, wobei wie üblich die Qualitätsansprüche höchst unterschiedlich ausfielen (Playlist auf Youtube). Hervorzuheben sind - neben den beiden hier auf der Seite eingebetteten Beiträgen - Videos von Martin Fransson (Schweden) von Steven Brown (England), von Corne O (Niederlande, mit Meeresleuchten) sowie von Michael Schomann (Deutschland).
Aus der großen Zahl beeindruckender Fotos seien lediglich drei Beispiele aus Dänemark, aus England und aus einem Schiffsfenster in der Ostsee genannt.

In den Medien machten die NLCs im Sommer 2022 zweimal für kurze Zeit Schlagzeilen, als Zwischenergebnisse eher kleinerer wissenschaftliche Arbeiten kräftig aufgebauscht wurden. Ist die Hypothese, dass Wasserdampf aus Raketenstarts für die Zunahme der NLCs mitverantwortlich sein könnte, durchaus diskussionswert, so war der zweite Fall eher grotesk. Aus einer bisher so nicht beobachteten kurzen ungewöhnlich hohen Spitze der PMC-Frequenz im UV-Licht (beobachtet mit AIM) konstruierte Spaceweather.com einen ungewöhnlichen Ausbruch von NLCs im visuellen Bereich. Als tiefere Ursache für die (in Wahrheit ganz und gar nicht ungewöhnliche) Sichtung von NLCs in Washington und Oregon wurden dann wiederum die Raketenstarts hinzu gezogen. Die ganze Melange wurde von anderen Medien dankbar aufgenommen und weiter ausgeschmückt. Die nackten Daten zeigen allerdings, wie weiter oben erläutert, weltweit eine recht durchschnittliche NLC-Saison.



Leuchtende Nachtwolken in der Nacht 05./06.07.2022

Auch wenn die Saison 2022 keine ganz "große" NLC-Nacht brachte, so waren doch einige eindrucksvolle und helle Displays zu verzeichnen. Von diesen traten zwei in aufeinanderfolgen Nächten der ersten Juli-Dekade auf. Die NLCs der Nacht 04./05.07.2022 erreichten ihre größte Ausdehnung und Helligkeit im Morgensektor. Während Michael Theusner im Hamburger Raum ein (nahezu) Allsky-Display dokumentierte, zeigten Analysen von Andy Eichner, dass das Display im Osten Deutschlands bis zum 52. Breitengrad reichte. Weiter südlich beobachtete der Autor dieser Zeilen in Oberursel die Entwicklung zweier hell leuchtender Kanten innerhalb des dort etwa 15˚ hoch reichenden NLC-Felds. Zugleich wurde von dort bestätigt, dass das Display auch im Westen Deutschlands bis etwa zum 52. Breitengrad reichte.

Eigene Aufnahme aus Oberursel, 05.07.2017, 04:02 MESZ
Abb. 1: NLC-Display am 05.07.2022, 04:02 MESZ, mit einer gut ausgebildeten (unten) und einer zweiten, sich entwickelnden Kante. Eigene Aufnahme aus Oberursel. Weitere Fotos im AKM-Forum

Am folgenden Tag (05.07.2022) empfing OSWIN ab der Mittagszeit bis kurz vor 19:00 UT (21:00 MESZ) permanent teils starke Echos aus der Mesosphäre, welche von anfangs 85 km bis auf 82 km absanken und sich somit im "passenden" Höhenbereich aufhielten. Zeitgleich erfasste im gleichen Höhenkorridor auch das ebenfalls in Kühlungsborn stationierte RMR-LIDAR Eiskristalle im Bereich des sichtbaren Lichts (Wellenlänge 532 nm). Es war somit keine Überraschung, dass bereits kurz nach 22 Uhr an einigen Webcams Leuchtende Nachtwolken bemerkt wurden, welche bis in den Alpenraum sichtbar waren. Allerdings erreichten sie keine besondere Helligkeit. Diejenigen Beobachter, welche auf Grund des Verlaufs der Vornacht erneut auf den Morgensektor setzten, wurden jedoch mit einem hellen, bis nach Süddeutschland reichenden Display belohnt. Besonders hervor stach eine helle, langgezogene Kante, welche das NLC-Feld auf der linken (westlichen) Seite scharf begrenzte und dieser extremen Form bislang kaum einmal gesehen worden war.

"Liebes Forum, diese Beobachtung heute früh war so spektakulär, dass ich sie zum Anlass nehmen musste, mich hier zu registrieren..." "Codo"

Es gibt aus dieser Nacht einige Webcam-Meldungen und zahlreiche Belegfotos vor allem auch in den Social Media sowie eine ausführliche Foto-Dokumentation des bekannten Bochumer Astronomie-Journalisten Daniel Fischer. Erstaunlicherweise erfolgten jedoch nur von 3 Standorten detaillierte Angaben zur Ausdehnung und Horizonthöhe (s.u.). Grundlage für die nachstehende Karte der Beobachtungsorte sind die im Tagesthread des AKM-Forums direkt geposteten und dort aus anderen Quellen kompilierten Sichtungsmeldungen.

NLC-Beobachtungen in der Nacht 05./06.07.2022
Abb. 2: NLC-Beobachtungen in der Nacht 05./06.07.2022. Diese Grafik steht auch als interaktive PDF-Datei zur Verfügung.

Die Konzentration insbesondere der menschlichen Beobachtungen auf Sichtungen auf den Westen Deutschlands spiegelt die Bewölkungsverhältnisse wieder, welche sich am Morgen (s. nachstehendes Satellitenbild) noch etwas ungünstiger als am Abend präsentierten.

Satellitenbild (Infrarot) vom 06.07.2022, 02:00 UTC (= 04.00 MESZ
Abb. 3: Satellitenbild (Infrarot) vom 06.07.2022, 02:00 UTC (= 04.00 MESZ).
Quelle: Wetterzentrale.de, lizenziert unter CC BY-NC 4.0.

Neben einer kurzen Beobachtung um 22:48 MESZ in Oberursel liegen für den Abend genauere Angaben von Jørgen K aus Quernheim vor, allerdings für einen etwas späteren Zeitabschnitt (23:10 - 23:30 MESZ). In der nachstehenden Grafik sind die Südkanten der beobachteten NLCs durch blaue Striche markiert. Gegen 23:00 konnte Olaf Squarra in Rostock ein zwar lückiges, aber über große Teile des Himmels reichendes Display vermelden, das im Süden bis etwa 30 Grad über den Horizont reichte. Wenn man für die anderen Haupt-Himmelsrichtungen 10˚ Horizonthöhe ansetzt, umreißen die vier blauen Punkte in der Abbildung den Bereich, der gegen 23 MESZ mindestens von NLCs überdeckt wurde.
Im Morgensektor war auf Grund der eigenen Beobachtungen dieses Autors eine Lagebestimmung des nun bis zum 49. Breitengrad Displays um 04:35 MESZ möglich (dicke türkise Linie in der Abbildung). Auf einem Foto, welches zwischen 04:25 und 04:29 in München aufgenommen wurde, ist lediglich ein Abschnitt des Feldes zu sehen, dessen genau vermessbare Oberkante aber recht gut zu der von Oberursel aus erfassten Begrenzung des NLC-Felds passt (dünne türkise Linie).
Die Verlagerung des Displays von Nordost nach Südwest betrug in den 5.5 Stunden zwischen 23 und 04:30 Uhr gut 500 Kilometer, was einer eher langsamen Zuggeschwindigkeit von etwa 100 km/h entspricht.

Ungefähre Position der beobachteten NLCs in der Nacht 05./06.07.2022
Abb. 4: Ungefähre Position der beobachteten NLCs in der Nacht 05./06.07.2022; Erläuterungen im Text.

Der westliche Rand des eingezeichneten Morgen-Felds entspricht in seinem nördlichen Teil von den Niederlanden bis zur Nordsee der vielfach beobachteten hell leuchtenden markanten Kante. Diese war erwartungsgemäß auch von Belgien und dem Süden der Niederlande aus hervorragend sichtbar.

Eigene Aufnahme aus Oberursel, 06.07.2017, 04:19 MESZ
Abb. 5: Eigene Aufnahme aus Oberursel, 06.07.2017, 04:19 MESZ. Weitere Fotos im AKM-Forum (2 aufeinander folgende Postings)